Schmerzen sind immer ein Alarmsignal, welches Dir signalisiert, dass mit Deinem Körper etwas nicht stimmt. Ob aufgrund eines Unfalls oder einer Krankheit – Schmerzen sind der häufigste Grund, warum Menschen eine:n Ärzt:in aufsuchen. Dabei können Schmerzen unterschiedliche Ursachen haben und die Behandlung ist vor allem bei chronischen Schmerzen oftmals nicht einfach. Denn die hierfür zur Verfügung stehenden Arzneimittel können schwerwiegende Nebenwirkungen verursachen. Dazu gehören Übelkeit und Erbrechen, Verdauungsbeschwerden sowie Schwindel und Atemdepression.
Starke Medikamente gegen Schmerzen wie Opioide und Opiate bergen sogar die Gefahr, dass Patientinnen und Patienten eine Abhängigkeit entwickeln. Deshalb begeben sich viele Betroffene auf die Suche nach einer Alternative und stoßen dabei häufig auf medizinisches Cannabis.
Cannabis wurde bereits vor Hunderten von Jahren als Schmerzmittel eingesetzt. In immer mehr Ländern wurde medizinisches Cannabis innerhalb der letzten Jahre legalisiert, was dazu geführt hat, dass die Forschung weiter vorangetrieben wird. Viele Patient:innen profitieren bereits von einer Cannabis-Therapie, insbesondere dann, wenn sie unter chronischen Schmerzen leiden. Im Jahr 2021 erhielten 76% der gesetzlich versicherten Cannabis-Patient:innen mit Kostenübernahme das Medikament zur Behandlung chronischer Schmerzen. Doch worauf basiert die Wirkung? Und wann wird Cannabis als Medizin verordnet?
Inhaltsverzeichnis
Die Cannabispflanze ist in ihrer chemischen Zusammensetzung äußerst komplex. Zu den wichtigsten Inhaltsstoffen gehören die Cannabinoide wie Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) sowie Terpene.
Verantwortlich für die Wirkung ist das (körpereigene) Endocannabinoid-System mit seinen Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2, die sich nahezu im gesamten Körper nachweisen lassen. Zum Endocannabinoid-System gehören auch die Endocannabinoide, die der Organismus eines Menschen bei Bedarf selbst bilden kann.
Das Endocannabinoid-System kannst Du Dir wie eine Art Regulationssystem vorstellen, das an verschiedenen Prozessen beteiligt ist, wie zum Beispiel an der Emotionsregulation, dem Schlaf, Appetit sowie unter anderem bei Entzündungsprozessen. Darüber hinaus kann das Endocannabinoid in die Schmerzempfindung eingreifen.
Sowohl die Cannabinoide aus der Cannabispflanze als auch die Endocannabinoide binden an die Cannabinoidrezeptoren, um so ihre Wirkung entfalten zu können. Die Schmerzregulation wird über den CB-1 Rezeptor mit reguliert. Die Andockstellen befinden sich zu großen Teilen im Gehirn, dem Rückenmark, der Haut, den weißen Blutkörperchen sowie den Mastzellen.
In vielen Kulturen wird die Cannabispflanze schon seit Jahrtausenden geschätzt und nicht nur als Rauschmittel, sondern auch als Arzneimittel. So wurde bereits im 16. Jahrhundert v. Chr. eine als Cannabis identifizierte Pflanze als Bestandteil von Heilmitteln im sogenannten “Papyrus Ebers”, einem medizinischen Papyrus aus dem alten Ägypten, erwähnt.
Der antiken Medizin war Cannabis ebenfalls nicht unbekannt. Im “Wiener Dioskurides”, einem pharmakologischen Handbuch aus dem Jahre 512, findet sich beispielsweise eine Abbildung der Pflanze. Auch das klassische chinesische “Buch des Shennong von den Heilpflanzen” aus dem 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. empfiehlt eine Einnahme des Harzes als Mittel gegen Verstopfungen, rheumatische Symptome oder Gicht. Die berühmte Äbtissin Hildegard von Bingen verwendete Cannabis gerne als Mittel gegen Übelkeit und Magenschmerzen.
Die Studienlage in Bezug auf chronische Schmerzen ist vergleichsweise gut. In der Palliativmedizin hat Medizinalcannabinis bereits einen festen Platz. Schwerstkranke Patient:innen können von einer Therapie mit Medizinalcannabis profitieren, wenn die Therapie mit Standart-Medikamenten nicht die nötigen Erfolg bringt. Aber auch bei Menschen, die unter chronischen Krankheiten (z. B. rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose, Morbus Crohn) leiden, werden cannabinoidhaltige Medikamente als eine ergänzende Behandlungsoption eingesetzt.
Die cannabishaltige Medikamente werden dabei unterstützend verabreicht: Patient:innen erhalten medizinisches Cannabis zusätzlich zu ihrer gewohnten Schmerzmedikation. In einigen Fällen konnte so die bisherige Dosis der Medikamente reduziert werden. Das Wirkprinzip: Cannabis lindert die Schmerzen nicht im klassischen Sinne, sondern sorgt dafür, dass Patient:innen den Schmerz als weniger störend empfinden. Das ist auch der Grund, warum Cannabis nur zur Behandlung chronischer Schmerzen, nicht aber in akuten Schmerzsituationen hilfreich sein kann.
Viele Studien zeigen, dass vor allem das Cannabinoid THC eine schmerzlindernde Wirkung aufweisen kann. Das liegt daran, dass THC an die CB1-Rezeptoren im Gehirn bindet und das Schmerzempfinden verändern kann. Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass eine ergänzende Therapie mit Cannabinoiden bei der gleichzeitigen Einnahme von starken Schmerzmitteln (Opioiden und Opiaten) die Dosis der Schmerzmittel reduzieren kann.
Außerdem wirkt sich die Behandlung mit Cannabis positiv auf die Opioidkrise in den USA aus: In den US-Staaten, die Cannabis legalisiert haben, verringerte sich die Zahl der Opioid-Überdosierungen um 20 %. An einer Studie, in der die Wirksamkeit von Cannabinoiden auf den neuropathischen Schmerz untersucht wurde, nahmen mehr als 200 Schmerzpatient:innen teil, die unter einer Polyneuropathie mit Nervenschmerzen litten. Ergänzend zu ihrer Schmerztherapie erhielten 128 Teilnehmer:innen ein Mundspray, das die Wirkstoffe THC und CBD enthielt. Hingegen bekamen 118 Teilnehmer:innen ein Placebo gegen die Schmerzen. Innerhalb von drei Stunden war eine Dosierung des Sprays mit acht Hüben erlaubt. Im Ergebnis heißt es, dass die Stärke der Schmerzen bei den Patient:innen, die das wirkstoffhaltige Medikament nutzten, abnahm. Die Einnahme von Cannabinoiden führte außerdem dazu, dass sich das Lebensgefühl und die Schlafqualität der Patientinnen und Patienten verbesserten.
Einige Schmerzpatient:innen konnten durch die zusätzliche Einnahme von medizinischem Cannabis die Dosis ihrer Schmerzmedikation verringern.. Darüber hinaus wird Cannabis auch als Mittel gegen Übelkeit verwendet und kann so einigen der unerwünschten Nebenwirkungen entgegentreten. Nichts desto trotz kann auch Cannabis als Medizin Nebenwirkungen auslösen. Dabei können zum Beispiel folgende Symptome auftreten:
Darüber hinaus können die Wirkstoffe aus der Hanfpflanze auch Wechselwirkungen verursachen, wenn weitere Präparate eingenommen werden. Patient:innen, die Neben- oder Wechselwirkungen erleben, sollten diese immer mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztinder:dem behandelnden Ärzt:in besprechen.Auch interessant: Eine der genannten Nebenwirkungen kann durchaus Vorteile haben. So hat sich die appetitanregende Wirkung in der Behandlung von schweren Erkrankungen wie Krebs als nützlich gezeigt.
Ärzt:innen können Cannabis als Medizin in unterschiedlichen Darreichungsformen verordnen. Neben medizinischen Cannabisblüten mit unterschiedlich hohem THC- und CBD-Gehalt zum Vaporisieren stehen auch Fertigarzneimittel wie das Mundspray Sativex mit gleich hohem THC- und CBD-Anteil zur Verfügung.Darüber hinaus kommen auch in vielen Fällen Rezepturarzneimittel zum Einsatz. Am bekanntesten sind Dronabinol-Tropfen (THC), eine ölige Lösung zur oralen Anwendung – 62 % aller Cannabispatient:innen in Deutschland erhalten das Präparat. Eine Alternative stellen Vollspektrumextrakte dar. Apotheker:innen stellen hier aus medizinischen Cannabisblüten ebenfalls eine ölige Lösung her, sodass die Patient:innen die Tropfen oral einnehmen können.
Fertigarzneimittel und die öligen Tropfen haben den Vorteil, dass die Dosierung exakter möglich ist. Medizinische Cannabisblüten werden hingegen verdampft, was die Dosierung erschwert.
In der Regel tritt die Wirkung nach der Einnahme der Tropfen verzögert ein, während die Wirkung beim Verdampfen innerhalb weniger Minuten zu spüren ist. Für viele Patient:innen, die noch keine Erfahrungen mit medizinischem Cannabis gemacht haben, empfehlen Ärzt:innen deshalb häufig die orale Einnahme. Generell stimmen Mediziner:innen die geeignete Darreichungsform auf die Bedürfnisse ihrer Patient:innen ab – daher sollte das Thema auch immer mit der behandelnden Ärzt:in besprochen werden.
Mit dem im März 2017 in Kraft getretenen Gesetz schuf der Gesetzgeber die Möglichkeit, dass Ärzt:innen medizinische Cannabisblüten und Cannabis-Medikamente auf einem Betäubungsmittel verordnen können, ohne die Bindung an eine Indikation.
Voraussetzungen für die Verordnung sind, dass schwerwiegende Krankheiten bestehen, die therapieresistent sind oder für die keine Standardtherapien zur Verfügung stehen. Möglich ist die Verordnung außerdem, wenn die Nebenwirkungen einer Standardtherapie für die Patient:innen unzumutbar sind und die Gesundheit zusätzlich gefährden.
Darüber hinaus muss die Chance bestehen, dass sich die Beschwerden unter der Cannabis-Therapie verbessern.
Prinzipiell dürfen alle Ärzt:innen Cannabis als Medizin verschreiben – außer Zahnärzt:innen und Tiermediziner:innen. Patient:innen, die gesetzlich krankenversichert sind, können mit ärztlicher Unterstützung bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme beantragen. Dabei darf die Krankenkasse diesen nur in Ausnahmefällen ablehnen. Trotzdem lehnen Krankenkassen bis zu 33 % der Anträge ab, weshalb viele Patient:innen privat für die Kosten aufkommen müssen.
Patient:innen, die privat versichert sind, müssen immer alle Kosten hingegen selbst tragen.
Patient:innen, denen ein Cannabis-Medikament oder medizinische Cannabisblüten gegen Schmerzen verschrieben wurden, sollten das Einhalten der ärztlich verschriebenen Dosierung beachten. In den meisten Fällen muss die Dosis zu Beginn der Behandlung häufiger angepasst werden – dazu ist es wichtig, dass Patient:innen sich an die getroffenen Absprachen halten und genau über die Wirkung berichten.
Die Einnahme von anderen Medikamenten oder möglicherweise berauschenden Substanzen sollte ebenfalls mit dem:der Ärzt:in besprochen werden, um unerwünschte Wechselwirkungen zu vermeiden.Detaillierte Informationen zum Thema bieten die Expertinnen und Experten des Bundesinstituts für Arzneimittel16 und Medizinprodukte.
Die genau Wirkweise von Cannabis als Medizin in der Behandlung von Schmerzen muss weiterhin erforscht werden. Dennoch lässt sich schon jetzt sagen, dass der Einsatz von medizinischem Cannabis als Schmerzmittel in einigen Fällen vielversprechend scheint – bei chronischen Schmerzen. Patient:innen können auf verschiedenen Ebenen von der ergänzenden Behandlung profitieren. Zum einen empfinden Sie weniger Schmerz und können starke Schmerzmittel reduzieren, zum anderen kann Cannabis auch begleitende Symptome chronischer Erkrankungen lindern – so zum Beispiel depressive Symptomatiken und Appetitlosigkeit. Das Abstimmen mit Expert:innen ist wichtig, um einen wirklichen Therapieerfolg zu gewährleisten. Zusätzlich wäre eine Vereinfachung der bürokratischen Prozesse wünschenswert, die Hoffnung heißt somit auch hier: Legalisierung.
Cannabis-Medikamente und medizinische Cannabisblüten können bei schwerwiegenden Erkrankungen zum Einsatz kommen. Vor allem zur Schmerzregulierung bei chronischen Schmerzen, insbesondere neuropathischen Schmerzen, besitzt Medizinalcannabis eine potenzielle Wirksamkeit. Bei akuten Schmerzen zeigt Cannabis hingegen keine Wirkung.
Cannabis als Medizin ist verordnungsfähig, wenn Menschen unter einer schwerwiegenden Erkrankung leiden und keine Standardtherapie zur Verfügung steht oder therapieresistent sind. Außerdem können Ärzt:innen Cannabis-Medizin verordnen, wenn die Nebenwirkungen einer Standardtherapie besonders stark ausgeprägt sind.
Nach aktuellem Stand der Studien kann medizinisches Cannabis bei chronischen Schmerzen ergänzend oder allein zum Einsatz kommen. Dabei wirkt Cannabis nicht wie konventionelle Schmerzmittel. Vielmehr verändert sich das Empfinden der Schmerzen, sodass die Beschwerden erträglich werden.