Artikel

December 26, 2022

Cannabis-Sucht – wann wird das Wellbeing-Ritual problematisch?

Bevor wir in diese sensible Thematik eintauchen: Ja, Cannabis kann süchtig machen. Auch wenn eine Cannabisabhängigkeit im Vergleich zu Rauschmitteln wie Kokain oder Heroin auf den ersten Blick unschuldig wirkt. Vielleicht wurde die berauschende Pflanze auch deshalb lange Zeit verteufelt, aber unter den illegalen Drogen doch nicht so ganz ernst genommen. In den letzten Jahren hat sich die Sicht auf die Hanfpflanze und ihr Potenzial gewandelt: Cannabis findet in der Medizin als hochwirksames Medikament immer mehr Anerkennung und die Legalisierung von Cannabisprodukten steht kurz bevor. Aber auch das Thema der Cannabis-Abhängigkeit und die Auswirkungen auf die Gesundheit liegen stärker im Fokus als noch vor ein paar Jahren und Betroffene finden bei Beratungsstellen Hilfe. 

Auf der Suche nach dem nächsten High: Wie wirkt der Rausch mit Cannabis? 

Für die meisten Freizeitkonsument:innen ist die Erwartung an ein wohliges High die Motivation, die hinter dem Konsum steckt. Je nach Strain berichten Konsumierende von unterschiedlichen Erlebnissen.

Auf der ganzen Welt werden die Blüten der Pflanze aufgrund ihrer teils entspannenden, teils euphorisierenden Wirkungen geschätzt. Der Star der Geschichte? Der psychoaktive Wirkstoff THC. Der Akteur, der die Sause möglich macht? Das Endocannabinoid-System im menschlichen Körper. Hier docken THC und andere Cannabinoide an, sodass das System die entsprechenden Effekte in Auftrag geben kann.

Viele Menschen haben ein klares Bild, wenn sie sich einen Cannabis-Rausch vorstellen: Nachdem am Joint gezogen wird, werden alle Süßigkeiten-Verstecke geplündert, man kichert über Belanglosigkeiten und redet wie ein Wasserfall. Die von den Kiffer-Komödien der frühen 2000er Jahre geprägten Klischees sind zwar nicht ganz falsch, dennoch kann sich jeder Konsum anders anfühlen. Wie genau Du die Wirkung erlebst, hängt von den verschiedenen Strains der Cannabispflanze ab. Die Sorten enthalten unterschiedlich viel THC, CBD sowie eine Vielzahl an Terpenen. Außerdem spielt Deine persönliche Verfassung eine Rolle.

Darüber hinaus kann der Konsum von Cannabis folgende Symptome hervorrufen1:

  • veränderte Denkmuster: Das Denken kann sprunghaft werden und von Beeinträchtigungen des Kurzzeitgedächtnisses geprägt sein – es kommt zu Erinnerungslücken. Auf der anderen Seite fühlen Konsument:innen sich oft kreativer, losgelöster und entspannter.
  • veränderte Sinneswahrnehmung: Farben und Geräusche erscheinen intensiver. Gesprochenes kann teilweise als verzerrt empfunden werden.
  • verändertes Zeitgefühl: Während für einige Personen die Zeit wie im Flug vergeht, scheinen sich für andere die Minuten zu ziehen wie Kaugummi.
  • verändertes Körpererleben: Oftmals tritt eine wohlige Entspannung und das Gefühl der Leichtigkeit ein. Genauso gut sind Herzrasen, Übelkeit und Schwindel möglich. 

Cannabis-Sucht – Was sind die Merkmale?

Mediziner:innen sprechen von einer Cannabisabhängigkeit, wenn Betroffene im letzten Jahr mindestens drei der folgenden Symptome erlebt haben2

  • Der Wunsch nach Cannabiskonsum ist stark bis zwanghaft
  • Die Kontrolle über den Zeitpunkt und die Menge des Konsums scheint verloren
  • Die gewünschte Wirkung wird nur durch eine Erhöhung der Dosis erreicht
  • Der Konsum wird trotz negativer Folgen aufrechterhalten 
  • Andere Lebensbereiche werden dem Cannabiskonsum untergeordnet und vernachlässigt 
  • Bleibt der Konsum aus, kommt es zu Entzugssymptomen

Darüber hinaus spielt natürlich der eigene Leidensdruck eine Rolle. Ist Deine aktuelle Lebenssituation nur schwer auszuhalten und vermutest Du selbst eine Cannabisabhängigkeit, liegst Du damit in der Regel richtig.

Wie kommt es zu Suchtproblemen mit Cannabis?

First things first: Nicht jede Person, die gerne Joints raucht, entwickelt eine Sucht – auch nicht bei regelmäßigem Konsum. Es gibt allerdings Faktoren, die das Auftreten von Problemen mit Drogen im Allgemeinen erhöhen. Vor allem das Motiv des Konsums spielt eine entscheidende Rolle. Wer Cannabis nutzt, um unangenehme Gefühle zu verdrängen, ist gefährdeter, eine Abhängigkeit zu entwickeln3.  

Vor diesem Hintergrund überrascht es kaum, dass insbesondere junge Menschen betroffen scheinen, die mit Unsicherheit, Ängstlichkeit, einem instabilen familiären Umfeld oder hohen Leistungsanforderungen zu kämpfen haben4

Auch Depressionen, herabgesetzte soziale Kompetenzen, schwere Belastungen, Stress und traumatische Erlebnisse gelten als Risikofaktoren5 – schließlich führt der Genuss von Cannabis oftmals einen Entspannungszustand herbei, der in diesen Situationen kurzfristig Linderung verschaffen kann. Darüber hinaus wird Cannabis bei Erkrankungen wie Depressionen oder PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) auch als Medikament angewendet – die Intention ist also nachvollziehbar.

Wie findet eine Diagnose statt?

Die Diagnose wird vor allem durch Gespräche gestellt. In vielen Fällen suchen Betroffene eine Drogenberatungsstelle auf, in der sie mit Sozialarbeiter:innen über ihre Problematik sprechen. Andere kommen vielleicht durch gesundheitliche oder rechtliche Probleme in Kontakt mit Beratungsstellen, Mediziner:innen oder Therapeut:innen.

Der individuelle Leidensdruck ist wichtig für die Diagnostik, außerdem erfragen die Expert:innen das Konsummuster der betroffenen Person.

Auf der Suche nach Hilfe: Beratungsstellen, Therapie und Entzug

Wenn Du den Verdacht hast, dass Dein Cannabiskonsum problematische Ausmaße angenommen hat, findest Du an verschiedenen Stellen Hilfe. Neben Haus- und Fachärzt:innen sind unabhängige Beratungsstellen oft eine große Unterstützung.

In einigen Beratungsstellen kannst Du Dich anonym beraten lassen und erhältst erste wichtige Informationen zum Thema Sucht. Bei Bedarf können die Sozialarbeiter:innen Dich an entsprechende Institutionen weiterleiten und Dir eine kleine Starthilfe im Prozess geben.

Gut zu wissen: Die Mitarbeiter:innen einer Drogenberatungsstelle unterliegen der Schweigepflicht – somit sind eure Gespräche vertraulich und Du musst keine rechtlichen Konsequenzen befürchten, wenn Du Dich jemand anvertraust. Das gilt nicht, wenn die Mitarbeitenden von einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung ausgehen müssen.

Je nach individueller Situation kannst Du die Therapie ambulant, in einer Tagesklinik oder stationär beginnen. Vor einer Suchttherapie steht jedoch immer ein Entzug an – zur Aufnahme musst Du bereits frei von jeglichen Drogen sein. Das musst Du während der gesamten Therapie bleiben – auch Alkohol ist verboten.

Drogenberatungsstellen können eine erste Anlaufstelle sein

Du möchtest die Hilfe einer Drogenberatungsstelle in Anspruch nehmen? Wir haben eine kleine Übersicht erstellt:

Drogenberatung online:

  • Drugcom bietet verschiedene Beratungsangebote an.
  • Auch Plan B hilft Personen mit Suchtproblematik. 

Drogenberatung vor Ort:

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen verfügt über ein Verzeichnis der Beratungs- und Therapieangebote in Deutschland.

Telefonische Drogenberatung:

Unter der Telefonnummer 030/19237 bietet der Drogennotdienst Berlin 24 Stunden am Tag überregionale Beratungen für Betroffene und deren Angehörige an.

Welche Folgen bringt eine Cannabis-Sucht mit sich?

Ein weiches Konsummuster ist geprägt von unregelmäßigem Cannabisgenuss und bringt nur selten Langzeitfolgen mit sich. Bei einer Cannabis-Abhängigkeit sieht das anders aus: Hier können körperliche und psychische Beschwerden auftreten.

Mögliche körperliche Folgen

  • Je nach Konsumform steigt das Krebsrisiko erheblich. Die meisten Konsument:innen rauchen Joints und mischen dazu Cannabis mit Tabak. Tabak enthält neben Nikotin rund 250 krebserregende Substanzen6 und als wäre das nicht schlimm genug, gelangen durch den Joint eventuell größere Schadstoffmengen in den Körper. Denn: Der Rauch wird oft tiefer eingezogen und länger in der Lunge gehalten7.
  • Studien an Tieren weisen darauf hin, dass Cannabis-Konsum Spermien ausbremsen und die Fruchtbarkeit beeinträchtigen kann8
  • Ebenfalls erwähnenswert sind die klassischen unerwünschten Wirkungen, die auch Langzeitkonsument:innen zu spüren bekommen können. Dazu gehören in erster Linie Panik, Herzrasen sowie Paranoia9.

Mögliche psychische Folgen

  • Sozialer Rückzug: Wird Cannabis die oberste Priorität eingeräumt, ist das oft mit sozialer Isolation verbunden. Teilweise findet der Konsum jedoch auch gemeinsam im Freundeskreis statt.
  • Psychische Erkrankungen: Cannabisprodukte können Studien zufolge zwar hilfreich gegen Depressionen und andere psychische Erkrankungen sein, in anderen Fällen können sie die psychische Gesundheit aber auch beeinträchtigen. Bei Menschen mit entsprechender Veranlagung kann Cannabis sogar schizophrene Psychosen auslösen10.
  • Erhöhtes Suizidrisiko: Jugendliche, die regelmäßig Cannabis zu sich nehmen, haben laut einer Studie mit 45.000 Teilnehmenden ein 1,4-fach größeres Risiko, einen Suizidversuch zu unternehmen11. Ob der Cannabis-Konsum die Ursache dafür ist, ist unklar. 

Cannabis-Sucht bei Jugendlichen

Eine Cannabis-Sucht bleibt selten folgenlos. Besonders problematisch ist sie allerdings für Jugendliche. Denn: Ihr Körper, insbesondere das Gehirn, befindet sich noch in der Entwicklung. Rauschmittel jeder Art können die empfindlichen Strukturen aus dem Gleichgewicht bringen und für Langzeitfolgen sorgen.

Auswirkungen auf den jungen Körper

Neueren Erkenntnissen zufolge wirkt sich regelmäßiger Cannabisgenuss auf unsere Hormone aus12 – und genau die spielen in der Pubertät eine entscheidende Rolle: Nur, wenn die Produktion bestimmter Substanzen angekurbelt wird, setzen die körperlichen Veränderungen ein. In dieser Zeit können Störungen des endokrinen Systems besonders gravierend ausfallen. 

So zeigte das Ergebnis einer Studie, dass 20-jährige, die als Jugendliche zwei- bis dreimal pro Tag Cannabis geraucht hatten, durchschnittlich fast 12 Zentimeter kleiner waren als gleichaltrige Nicht-Konsument:innen. Eine schlechte Ernährung und andere Einflüsse ließen sich ausschließen13

Verändert Cannabiskonsum das Gehirn?

Immer mehr Studien zeigen, dass Cannabiskonsum in jungen Jahren das Gehirn beeinträchtigen kann: In dem Bereich, wo viele Cannabinoid-Rezeptoren sitzen, ist das Volumen der grauen Substanz größer als bei Jugendlichen, die noch nie Cannabis konsumiert haben14

Besonders auffällig sind die Amygdala, die an der Entstehung von Angst und anderen Emotionen beteiligt ist, und der Hippocampus, Arbeitsspeicher und Schaltstelle zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis15

Fazit

Auch wenn einige Konsument:innen den regelmäßigen Konsum gut verkraften und viele sogar von den positiven Effekten von THC und CBD profitieren, bleibt das Risiko der Abhängigkeit bestehen. Daher ist es wichtig, die Probleme der Betroffenen ernst zu nehmen.

Disclaimer

Der Besitz, Handel sowie Anbau von und mit Cannabis ist in Deutschland aktuell verboten. Daher dient der Artikel lediglich der Bereitstellung von Informationen zum Thema und ist nicht als Handlungsaufforderung zu verstehen.

FAQ’s

Wie schlimm ist eine Cannabis-Sucht?

Genau wie jede andere Sucht ist auch die Cannabis-Abhängigkeit eine ernstzunehmende Erkrankung. Betroffenen fällt es mitunter schwer, sich ein Leben ohne die Droge vorzustellen und der Konsum hat oberste Priorität. Auf der Suche nach Hilfe sind Drogenberatungsstellen empfehlenswert. Nach einem Entzug können Patient:innen Rahmen einer Cannabis Therapie das Leben ohne Drogen wieder erlernen.

Beitragsbild: Unsplash.com 

Quellen

  1. Cannabisprävention “Cannabis und THC – so wirkt es im Körper: Cannabisprävention” 
  2. Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.: Abhängigkeit: Diagnosekriterien gemäß ICD-10, “DHS Medikamente und Sucht: Abhängigkeit: Diagnosekriterien” 
  3. Deutsche Hauptstelle für Suchtanfragen e.V.: Cannabis Basisinformationen, “Cannabis” 
  4. Ebd.
  5. Ebd.
    Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg: “Tabakrauch – ein Giftgemisch
  6. Boyd CJ, McCabe SE, Evans-Polce RJ, Veliz PT. “Cannabis, Vaping, and Respiratory Symptoms in a Probability Sample of U.S. Youth. J Adolesc Health.” 2021 Jul;69(1):149-152. doi: 10.1016/j.jadohealth.2021.01.019. Epub 2021 Mar 3. PMID: 33676824; PMCID: PMC8238794.
  7. Payne KS, Mazur DJ, Hotaling JM, Pastuszak AW. “Cannabis and Male Fertility: A Systematic Review.” J Urol. 2019 Oct;202(4):674-681. doi: 10.1097/JU.0000000000000248. Epub 2019 Sep 6. PMID: 30916627; PMCID: PMC7385722.
  8. Deutsche Hauptstelle für Suchtanfragen e.V.: Cannabis Basisinformationen, “Cannabis
  9. Ebd.
  10. Degenhardt L, Hall W. “Is cannabis use a contributory cause of psychosis?” Can J Psychiatry. 2006 Aug;51(9):556-65. doi: 10.1177/070674370605100903. PMID: 17007222.e/
  11. The 2011 ESPAD Report” 
  12. Shagufta Jabeen, Ghazala Kaukab Raja, Maleeha Akram, Afzal Ahmad, Mazhar Qayyum & Shakeel Raza Rizvi; “Evidence of stimulation of pubertal development and suppression of growth rate in boys smoking marijuana in cigarettes ” Endocrine Abstracts (2015) 37 GP08.08 | DOI: 10.1530/endoabs.37.GP.08.08
  13. Ebd.
  14. Journal of Neuroscience: “Grey Matter Volume Differences Associated with Extremely Low Levels of Cannabis Use in Adolescence”
  15. The University of Vermont: “Teen Brain Volume Changes with Small Amount of Cannabis Use, Study Finds.

1111111